Etwa dreimal so groß wie die Binnenalster ist das DESY-Kernareal in der Science City: 50 Hektar (Bodenfläche). Dort stehen die hunderte und tausende Meter großen Forschungsanlagen FLASH und PETRA III. Und von dort erstreckt sich der European XFEL bis in die Metropolregion Hamburg. Menschen aus aller Welt nutzen diese Forschungsumgebung für Experiemente, um physikalische, chemische sowie biologische Fragestellungen zu erforschen.
Tausende Menschen arbeiten auf dem Forschungscampus in wissenschaftlichen, technischen und anderen Berufen. Die exzellente wissenschaftliche Expertise, diverse Dienstleistungen und Werkzeuge sowie Rechenkapazitäten vor Ort sind weltweit gefragt.
Um kommenden Generationen Flexibilität für zukünftige Nutzungsweisen zu sichern, entwickeln die Science City Partner gemeinschaftlich ihre Infrastruktur für Forschung und Lehre weiter. Tobias Piekatz leitet bei DESY das Projekt »Campusinfrastruktur«. Im Interview gibt er Einblick in seine ungewöhnliche Tätigkeit.
Was macht den Job als Projektleiter in der Science City Hamburg Bahrenfeld aus?
Wir prägen die Zukunft der Wissenschaft in Hamburg und damit auch der Stadt. Ich finde das sehr spannend.
Welche Eigenschaften braucht man, um den Forschungscampus fit für die Zukunft zu machen?
Kreativität, Widerstandsfähigkeit und einen langen Atem. In der Regel dauern städtebauliche Entwicklungen mindestens 15 Jahre – ausreichend Zeit für viele »Aufs und Abs«.
Gibt es eine Herausforderung, die besondere Kreativität erfordert?
Ja, fast jede… Nein, im Ernst: Wir versuchen bei jeder Fragestellung immer die beste Lösung zu erzielen. Zum Beispiel wissen die zukünftigen Nutzer und Nutzerinnen eines Gebäudes bei der Planung oft nicht genau, was sie brauchen. Dann muss man im Planungsprozess viel miteinander sprechen und herausfinden, wie man die verschiedenen Themen gelöst bekommt.
Was ist DESYs größtes Ziel in der Campus-Entwicklung?
Wir möchten kommenden Generationen auf dem Campus vielfältige Nutzungsmöglichkeiten sichern. Ich verstehe die Campusentwicklung auch als Chance zur Realisierung der tollen Ideen von DESY-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern. Sie kennen die Forschungsanlagen besonders gut, weil sie sie erdacht und gebaut haben und für den Betrieb zuständig sind. Sie wissen, was Spitzenforschung vor Ort praktisch braucht. Unser Anspruch aus der Planung ist, dafür zukunftsorientiert hochattraktive Flächen bereitzustellen. Dabei denken wir die Infrastruktur- und Medienplanung von »morgen und übermorgen« voraus.
Spielt das Wetter eine Rolle, wenn es um neue Grünflächen auf dem DESY-Campus geht?
Ja, inzwischen ist das Wetter – genauer gesagt: die Klimafolgenanpassung – elementarer Bestandteil der städtebaulichen und hochbaulichen Planung. Zum Beispiel treten Starkregenereignisse deutlich öfter und auch stärker auf als noch vor wenigen Jahrzehnten. Wir müssen uns also überlegen, wie wir in Zukunft mit den ganzen Wassermassen umgehen werden. Eine Lösung sind begrünte Dächer, die das Wasser länger zurückhalten, um die Kanalisation verzögert zu belasten. Außerdem planen wir große Freiflächen ein, die wir »Grünfinger« nennen. Bei Starkregen sollen sie mit Wasser volllaufen und es anschließend versickern lassen. Auch unsere solarbetriebene Pumpenanlage ist vorrausschauend im Betrieb. Sie wird die Regenrückhaltebecken auf dem Gelände möglichst frühzeitig leer pumpen, um genug Kapazität für die Wasseraufnahme zu schaffen.
Welche Bedeutung hat Partnerschaft in der wachsenden Science City?
Da denke ich zum Beispiel an PETRA IV: Bei dem Projekt verfolgen wir den Ausbau einer Großforschungsanlage, die zum Teil außerhalb unseres heutigen DESY-Geländes liegt. Das macht die Sache etwas kompliziert. Aber für den Forschungsstandort Deutschland ist PETRA IV ein wichtiges Zukunftsprojekt. Deswegen sind die Partner in der Science City motiviert, gemeinsam mit DESY Lösungen zu finden. Wenn zum Beispiel eine mehrere hundert Meter lange Experimentierhalle unter der Erde realisiert werden soll, kann kein Akteur allein handeln – das gelingt nur, wenn alle sich beteiligen. Die Zusammenarbeit der Science City Partner wirkt sich insgesamt sehr positiv auf die Weiterentwicklung des Campus und der Forschungsanlagen aus. Vieles wird leichter, wenn Fachleute über die Grenzen von Behörden und Einrichtungen hinweg zusammenarbeiten können. Ich finde, gemeinsam schaffen wir immer tolle Lösungen – auch weil alle ihre Erfahrung einbringen.
Warum ist es wichtig, ein Zentrum für Besucher:innen auf dem Forschungscampus einzurichten?
Auf dem Campus wird weltweit anerkannte Forschungsarbeit geleistet. Sie wird zum Großteil von der deutschen Gesellschaft finanziert. Deswegen möchten wir in unserem neuen Besuchszentrum DESYUM Faszination für die Naturwissenschaften wecken und zeigen, was DESY-Forschung so wertvoll für die Geslleschaft macht. In der DESYUM-Ausstellung können Gäste auf kreative Art begreifen, welche naturwissenschaftlichen Fragen und Entdeckungen wichtig sind und wo sie ihnen im Alltag begegnen. Wir schaffen einen lebendigen Ort für Austausch, Begegnungen, Bildung und Veranstaltungen auf dem Forschungscampus.
Inwiefern wird der DESY-Campus in Zukunft wachsen können, wenn die bebaubare Fläche vollständig genutzt ist?
Zum einen haben wir noch viele Randflächen, die ungenutzt sind: Mit dem kürzlich abgeschlossenen Rahmenplan konnten wir rund 65.000 Quadratmeter nutzbare Fläche nachweisen. Auch mit dem neuen Planrecht für PETRA IV gibt es weitere große Potenzialflächen. Wir haben also Fläche für Forschungsanlagen und andere Gebäude dazu gewonnen.
Im inneren Bereich des Campus ist es seit den 1960er Jahren schon recht eng geworden. Hier können wir Nutzungen zusammenlegen und auch »räumlich stapeln«, um neue Flächen in den älteren Campusbereichen erschließen. Insgesamt ist da im wahrsten Sinne des Wortes »Luft nach oben« – wir könnten bei Platzbedarf gegebenfalls vorhandene Gebäude aufstocken. Räumliche Umstrukturierung muss immer Projektbezogen erfolgen, weil sie meist sehr kostenintensiv ist.
Welchen Stellenwert hat Barrierefreiheit in DESYs zukünftiger Campusinfrastruktur?
Das Forschungszentrum DESY ist ein öffentlicher Bauherr. Für uns gelten Richtlinien des Bundes, wenn wir Gebäude planen. Der Bund hat sich verpflichtet, alle Gebäude möglichst umfassend ohne Hürden zu gestalten. Barrierefreiheit ist also fester Bestandteil aller Planungen für neue Gebäude. Bestandsgebäude, die seit den 1960er Jahren auf dem Campus errichtet wurden, können nachträglich leider nicht immer so umgebaut werden, dass sie den aktuellen Standards entsprechen.
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Auf Sand gebaut und stets im Wandel
Über die historische Herkunft des DESY-Campus
Der Bund und die Stadt Hamburg ermöglichten 1959 den Bau des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY auf dem Gelände eines ehemaligen Exerzierplatzes. Damals setzten sich Persönlichkeiten aus Politik, Forschung und Lehre gemeinsam ein, um Hamburg zum Anziehungsort der internationalen Grundlagenforschung zu machen. Die unterirdische Forschungsanlage DESY – ein 300 Meter langer Ringbeschleuniger – ging 1964 in Betrieb. So begann die Erschließung Hamburg Bahrenfelds für den regionalen, nationalen und internationalen Forschungsbetrieb.
Ab 1968 nutzte die Stadt Hamburg Erde, die beim Bau des Elbtunnels anfiel, um ein Naherholungsgebiet auf der übrigen Fläche des alten Militärgeländes zu schaffen. Es entstand ein hügeliger Landschaftspark, der bis heute an DESYs Campusbereich angrenzt. Benannt wurde der Park nach einer Forscherin, die in einem Brief an Otto Hahn als erste die Kernspaltung beschrieb: Lise Meitner.
Ab 2019 wurden neben staatlichen Akteuren auch Bürger:innen in die Planungen zur Science City Hamburg Bahrenfeld einbezogen. Maßnahmen zur Förderung von Innovation, Start-ups sowie Angebote an Unternehmen zur Nutzung der Forschungsinfrastruktur, öffnen gleichzeitig die Campus-Welt zunehmend nach außen.
Vor etwa 60 Jahren erschlossen Akteure aus verschiedenen politischen und wissenschaftlichen Bereichen in einem gemeinsamen Kraftakt Hamburg Bahrenfeld als Standort für Forschung und Lehre. Das gemeinschaftliche Engagement vieler gesellschaftlicher Akteure wird die Science City auch in Zukunft weiter stärken und Hamburgs Entwicklung zur Wissenschaftsmetropole maßgeblich vorantreiben.